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Windkraftvorrangs-Bingo: Wollenberg in oder out?

Windkraftvorrangs-Bingo: Wollenberg in oder out?

Am 6. Mai soll nach der Disposition des Regierungspräsidiums (RP) Gießen die erneute Offenlegung des Teilregionalplans Energie Mittelhessen (Entwurf in der Version 2.0) erfolgen. In diesem werden für die mittelhessische Planungsregion Vorranggebiete für Windenergie ausgewiesen. Das RP hat dazu nun eine Arbeitskarte zum Planungsstand (pdf) veröffentlicht. Diese – die Bezeichnung Arbeitskarte beinhaltet, dass noch Veränderungen möglich sind (!) – weist gegenüber der Karte Windenergienutzung (pdf) zum Teilregionalplan Energie Mittelhessen (Entwurf in der Version 1.0) einige Veränderungen auf.

Geblieben wie gehabt sind lediglich die VRG 3102 (zwischen Engelbach und Treisbach) und VRG 3105 (zwischen Todenhausen und Mellnau). VRG 3114 (Wollenberg I) wurde erheblich verkleinert und verschoben. VRG 3115 (Wollenberg II) hingegen wird nun wie VRG 3125 (zwischen Caldern und Dagobertshausen, verkleinert auf Rand im Ostteil) sowie VRG 3127 (zwischen Caldern und Michelbach) als verbleibendes mögliches Gebiet ausgewiesen. Zuvor waren diese Gebiete negativ beschieden worden.

Ob mit den neuen Gebietsausweisungen das Aus für einen Windpark Wollenberg nach den ursprünglichen Planungen der Stadtwerke Marburg einherginge, ist völlig unklar. Hier würde – sofern die Stadtwerke daran festhalten – wohl rechtliches Neuland betreten, weil das Genehmigungsverfahren bereits läuft und die entsprechende Nichtausweisung des Gebiets im Teilregionalplan erst später erfolgte. Allerdings stellte sich dann erneut auch die Frage, warum das RP Gießen das Vorhaben in seiner Stellungnahme nicht abschließend negativ beschied, sondern lediglich Nachforderungen stellte.

Windpark Wollenberg nach den Planungen der Stadtwerke Marburg

Quelle: © OpenStreetMap-Mitwirkende, CC BY-SA 2.0 [Bearbeitung]

Zugleich zeigt die veröffentlichte Arbeitskarte, dass im RP Gießen offensichtlich kräftig Windkraftvorrangs-Bingo gespielt wird oder aufgrund übergeordneter Vorgaben gespielt werden muss. Anders ist beispielsweise nicht zu erklären, dass VRG 3114 zuvor aus (angeblich) naturschutzfachlicher Sicht auf den zentralen Bereich des Wollenbergs beschränkt wurde und mit der Neuausweisung nun in ein Gebiet verschoben wird, dass zuvor aus naturschutzfachlicher Sicht – u.a. aufgrund eines Dichtezentrums der Bechsteinfledermaus – als ungeeignet galt.

Das gleiche Urteil gilt auch für die VRG 3115, 3125 und 3127. Sie waren zuvor ebenfalls für ungeeignet erklärt worden. Das zeigen die Erläuterungen zu den Gebieten aus den so genannten Steckbriefen der ausgewiesenen VRG (pdf), die seinerzeit mit der Karte Windenergienutzung zum Teilregionalplan Energie Mittelhessen (Entwurf in der Version 1.0) veröffentlicht wurden. Nachfolgend werden daraus die Kriterien, die noch vor 16 Monaten als Negativausweis galten, sowie die entsprechenden Beschlussvorlagen wiedergegeben.

VRG 3115 (Wollenberg II):

Artenschutz: „ […] nach Landschaftsplan starker Vogelzug (Kraniche) über der Fläche; […] nach ONB sehr hohes Konfliktpotential für windkraftsensible Fledermäuse: Bechsteinfledermaus#, Mopsfledermaus, Großes Mausohr, Wasserfledermaus, Fransenfledermaus#, Kleine Bartfledermaus#, Abendsegler, Zwergfledermaus, Braunes Langohr# (# = Art mit geringem Konfliktpotential gegenüber WEA gemäß Fledermausgutachten ITN 2012); mögliche Beeinträchtigung von Quartierbäumen und Jagdhabitaten; Konfliktpotenzial ist insgesamt ähnlich einzustufen wie bei Gebiet 3114 […]; Gebiet sollte aus Naturschutzsicht wegen hohen Konfliktpotenzials für Bechsteinfledermaus gestrichen werden“.

Weitere beurteilungsrelevante Aspekte: „[…] hoher Nadelwaldanteil zwar günstig für Wahl geeigneter WEA-Standorte, aber Wald-Offenland-Komplex bildet grundsätzlich ein potenziell wichtiges Nahrungshabitat für Fledermäuse und Vögel; […]“.

Beschlussvorschlag: „nicht als VRG WE ausweisen, da Verträglichkeit mit den Erhaltungszielen des FFH-Gebiets für Fledermäuse trotz Lage des möglichen VRG WE außerhalb des FFH-Gebiets sehr ungewiss“.

VRG 3125 (zwischen Caldern und Dagobertshausen, verkleinert auf Rand im Ostteil):

Natura 2000-Verträglichkeit: „[…] gemäß ONB Gebiet streichen, auch Rand im Ostteil (zwar außerhalb des FFH-Gebiets, aber zu klein für Errichtung einer Windfarm […]); erhebliche Konflikte mit Erhaltungszielen“.

Weitere beurteilungsrelevante Aspekte: „wegen Abstands von weniger als 2 km zur Ortslage Calde[r]n sind erhebliche Beeinträchtigung des Ortsbildes und von Sichtbeziehungen nicht auszuschließen und auf örtlicher Ebene kaum zu lösen; […] mit Gebiet 3127 zusammenhängend (< 1 km Abstand); […]“.

Beschlussvorschlag: „nicht als VRG WE ausweisen, da Verträglichkeit mit den Erhaltungszielen des FFH-Gebiets für Fledermäuse […] auch am Rand des FFH-Gebiets sehr ungewiss“.

VRG 3127 (zwischen Caldern und Michelbach):

Natura 2000-Verträglichkeit: „wichtige Pufferzone für randlich angrenzendes FFH-Gebiet; Konflikte mit Erhaltungszielen wegen Einwirkung der Windenergienutzung in das FFH-Gebiet; Lösung möglicher Konflikte (Fledermäuse) absehbar auf der örtlichen Ebene nicht möglich“.

Artenschutz: „gemäß ONB hohes Konfliktpotenzial für windkraftsensible Fledermäuse im angrenzenden FFH-Gebiet (dort Bechsteinfledermaus#, Mopsfledermaus, Großes Mausohr, Fransenfledermaus# und Braunem Langohr# (# = Art mit geringem Konfliktpotential gegenüber WEA gemäß Fledermausgutachten ITN 2012); gemäß ONB zu streichen“.

Weitere beurteilungsrelevante Aspekte: „[…] kleines Gebiet, aber mit Gebiet 3125 zusammenhängend (< 1 km Abstand); […] wegen FFH-Konflikten ähnlich wie 3125“.

Beschlussvorschlag: „nicht als VRG WE ausweisen, da Verträglichkeit mit den Erhaltungszielen des FFH-Gebiets für Fledermäuse trotz Lage des möglichen VRG WE außerhalb des FFH-Gebiets sehr ungewiss“.

 

Die Erstellung der oben stehenden Karte mit einer maßstabähnlichen (!) Übertragung der VRG aus der Arbeitskarte des RP Gießen erfolgte aus urheberrechtlichen Gründen. In den wiedergegebenen Steckbriefen benutzte Abkürzungen lauten aufgelöst:

ITN: Institut für Tierökologie und Naturbildung
ONB: Obere Naturschutz-Behörde
VRG WE: Vorranggebiet Windenergie
WEA: Windenergieanlage