Stadtwerke MR-Gutachten erklärt Vogelzug für irrelevant
Eine besondere Gefahr stellen Windkraftanlagen (WKA) auch für Zugvögel wie den Kranich dar. Der Kranich zählt nach dem Bundesnaturschutzgesetz (§ 7 Abs. 2 Nr. 14 a BNatSchG) zu den streng geschützten Arten und ist in Anhang I der Vogelschutzrichtlinie gelistet. Nach den Ergebnissen eines von den Stadtwerken Marburg in Auftrag gegebenem naturschutzrechtlichen Gutachten ist der Vogelzug über dem Wollenberg allerdings von keiner Relevanz.
Laut Gutachten (Stand: 14. Juni 2013) wird der Wollenberg von Zugvögeln umflogen oder allenfalls in unterdurchschnittlicher bis durchschnittlicher Intensität überflogen. Auch wurde auf eine gesonderte Erfassung des Kranichzuges verzichtet, heißt es dort lapidar. Uns vorliegende Bilddokumente belegen das Gegenteil:
Kranichzug über dem Wollenberg am 26.10.2013
Quelle: bi-wollenberg.org, CC BY-SA 3.0
Das Video wurde am 26.10.2013 von Warzenbach aus aufgenommen. Die Kraniche passieren demnach den Wollenberg entlang des Kamms von Nordost nach Südwest in Höhen von etwa 100 m bis150 m, also im Rotorbereich der geplanten WKA mit einer Gesamthöhe von 199,5 m. Ebenso liegen Fotografien des Kranichzugs vom 19.10.2013 vor. Diese wurden von Caldern aus aufgenommen und zeigen den Zug entlang des Kamms in Höhen von 150 m bis 200 m, ebenfalls im Rotorbereich der geplanten WKA.
Kranichzug über dem Wollenberg am 19.10.2013
Quelle: bi-wollenberg.org, CC BY-SA 3.0
Natürlich stellt sich die Frage, ob Kraniche an WKA nicht Ausweichreaktionen zeigen. Künftig aber müssten sie dann auf kurzer Strecke entlang des Kamms sechs WKA hintereinander ausweichen, sodass die Wahrscheinlichkeit, in die Schredder zu gelangen, stark anstiege.
Auch ist ungewiss, ob die Art ihren Zugkorridor räumlich – etwa entlang des Flusstals – verlegen würde. Jüngst veröffentlichte Forschungsergebnisse des Ornithologen und Sinnesphysiologen Graham R. Martin von der University of Birmingham legen nahe, dass Großvogelarten mit eingeschränkten Gesichtsfeldern (Ergebnis von Lage, Form und Größe der Augen) im weiträumig freien Luftraum auftauchende Strukturen wie WKA nicht wahrnehmen können, wenn sie im Flug nach unten schauen.
Für letzteres sprechen auch Bilder des Vorbeiflugs von Kranichen an einer WKA am Haarkamm östlich von Vierhausen (NRW). Die Vögel flogen an der westlichsten WKA des dortigen Windparks vorbei, ohne ihr Verhalten vor Erreichen der WKA noch beim Vorbeiflug zu ändern. Zu ihrem Glück drehten sich die Rotorblätter bei leichtem Südwind nur langsam.
Die Behandlung von Vogelzug und Kranich bilden nur eine von vielen Ungereimtheiten in den von den Stadtwerken Marburg bei der Genehmigungsbehörde eingereichten naturschutzrechtlichen Unterlagen. Auch sind diese – entgegen von zunächst gemachten Zusagen – nicht öffentlich zugänglich. Einsicht erhält nur, wer zuvor beim Regierungspräsidium Gießen einen Antrag nach dem Hessischen Umweltinformationsgesetz (§ 3 Abs. 1 HUIG) stellt.
Weitere Bilder vom Kranichzug über dem Wollenberg am 19.10.2013
Quelle: bi-wollenberg.org, CC BY-SA 3.0