Windpark Wollenberg: Was bisher geschah!
Im Anfang stand ein Beschluss der Stadtverordnetenversammlung Marburg. Sodann manifestierte sich ortsbezogen Protest durch den Nabu. Schließlich lag ein von den Stadtwerken Marburg beauftragter Vorschlag vor, der beides einer einvernehmlichen Lösung zuzuführen schien. Und in Folge nahmen die Dinge, vorangetrieben und im Hintergrund gelenkt über mehrere Akteure, ihren Lauf.
Wer schon immer einmal wissen wollte, wie die Planungen für einen Windpark in den Wollenberg gelangten, kann das nun anhand einer von der BI erstellten dokumentarischen Zeittafel selbst in Augenschein nehmen. Rückwärtschronologisch werden darin alle für das Vorhaben maßgeblichen Ereignisse in dem Zeitraum von Anfang 2010 bis heute erfasst. Für die Planungsfrühphase ergibt sich aus der insgesamt 10-seitigen Dokumentation folgendes Bild:
Im Februar 2010 beschließt die Stadtverordnetenversammlung Marburg, die bis dato favorisierten Planungen für einen Windpark auf den Lahnbergen umgehend einzustellen. Seinerzeit heißt es, durch einen solchen werde das Stadtbild Marburgs nachhaltig beeinträchtigt, zugleich reiche der Wind auf den Lahnbergen nicht aus und sei der Standort insgesamt ökologisch zu sensibel. Dem vorausgegangen sind anhaltende Proteste gegen die Errichtung von Windkraftanlagen (WKA) aus Reihen der Marburger Bürgerschaft.
Der Beschluss wird mit den Stimmen von SPD, CDU, FDP sowie Marburger Bürgerliste (MBL) und gegen die Stimmen von Grünen und Marburger Linke gefasst. Um gleichsam nicht als generell windkraftfeindlich zu erscheinen, verbinden Marburgs Stadtverordnete ihr negatives Votum vor Ort mit einer positiven Beglückung an anderem Orte. In einem einstimmig ergangenen Zusatzbeschluss wird festgelegt:
„Um die Windenergie für die Bürger und Bürgerinnen der Stadt Marburg in erweitertem Umfang auch außerhalb Marburgs zu nutzen, werden die Stadtwerke Marburg beauftragt, an Standorten im Landkreis Marburg-Biedenkopf, die windenergetisch ertragreich, von der Bevölkerung akzeptiert und wirtschaftlich erfolgreich erscheinen, Windkraftanlagen – ggf. in Kooperation mit weiteren Investitionspartnern – zu errichten und zu betreiben.“
Unterdessen sieht der im Juni 2010 in Kraft tretende Regionalplan Mittelhessen vor, FFH- und Naturschutzgebiete einschließlich einer Abstandszone von 200 m als Ausschlussflächen zu behandeln. In diesen ist der Bau von WKA unzulässig. Dem Regionalplan zufolge ist in der Gemarkung Lahntal als WKA-Vorrangfläche die „Hardt“ – ein Gebiet östlich begrenzt durch die L 3381 zwischen Goßfelden und Wetter sowie westlich durch die K 81 zwischen Sarnau und Niederwetter – ausgewiesen.
Zugleich unterhält die Nabu-Ortgruppe Lahntal seit 1993 im Bereich der „Hardt“ eine 7 ha große Streuobstwiese mit naturnahen Hecken. Die Naturschutzorganisation protestiert gegen WKA auf dem von ihr nach natur- und artenschutzfachlichen Aspekten gepflegten Gebiet mit den Worten: „Diese Windkraftanlagen werden unser Ortsbild, mehr noch wie die B 252 Westtrasse, beeinträchtigen.“ Und: „Viele Bürger nutzen die Hardt zu einem Spaziergang in Ruhe, mit Blick aufs Lahntal. Viel Geld wurde investiert für Kauf, Bepflanzung und Pflege. […] Wehren Sie sich gegen eine totale Verbauung und Verunstaltung der Natur und unserer Gemeinde!!“
Dennoch verfügt die „Hardt“ weder über einen Status als Naturschutzgebiet noch über einen solchen als Vogelschutzgebiet. Lediglich eine kleine Fläche mit Streuobstbeständen im Randbereich des Areals ist als gesetzlich geschütztes Biotop ausgewiesen. Der Protest allerdings ist ausreichend, um die Fläche in den politischen Gremien vor Ort aufgrund zu erwartender Konflikte mit dem Vogelschutz als ungeeignet zu bewerten. Einen Ausweg bietet passenderweise ein von den Stadtwerken Marburg in Auftrag gegebenes Entwicklungs- und Planungskonzept. Dieses verwirft die „Hardt“ und schlägt stattdessen den Wollenberg (Bereich Schwedenschanze und südlich davon) als besser geeigneten – und zugleich einer größeren Anzahl von WKA Platz bietenden – Standort vor.
Von nun an ist das Planungsvorhaben im Wollenberg. Nachdem im Dezember 2011 eine auf taxierten Abschätzungen und Hochrechnungen beruhende Windpotenzialkarte für Hessen durch den TÜV Süd erscheint, planen die Stadtwerke zudem entlang der Kammhöhe. Der Status des Wollenbergs als FFH-Gebiet allerdings spielt bis zu diesem Zeitpunkt ebenso wenig eine Rolle wie dieser danach größere Beachtung finden wird. Mehr noch, es liegen Hinweise darauf vor, dass mit der Verschiebung des Planungsvorhabens in den zentralen Bereich des Wollenbergs eine rechtlich unzulässige Ermöglichungsplanung einsetzt.
In der chronologischen Rückschau treten Fehler im Abwägungsprozess prägnant hervor. Sichtlich scheint das Raumordnungsziel den Wünschen des Vorhabenbetreibers politisch unterworfen und nicht – oder nicht ausreichend – nach dem öffentlichen Interesse des Arten- und Naturschutzes bewertet. Hierzu zählt, dass der Aufforderung der Oberen Naturschutzbehörde, den Wollenberg als Vorranggebiet gänzlich zu streichen, ebenso nicht gefolgt wird wie den Vorgaben aus dem Leitfaden des Hessischen Umweltministeriums, einen „Mindestabstand von 5 km zu den nachgewiesenen Wochenstubenquartieren und Kolonien“ u.a. der Mopsfledermaus zu wahren sowie Natura 2000-Gebiete, die dem Erhalt und dem Schutz solcher Arten gelten, als Vorranggebiete auszuschließen.
Natura 2000 ist der Fachterminus für das europäische Netz von Schutzgebieten nach Maßgabe der FFH-Richtlinie. Der Wollenberg ist den genannten Bestimmungen zufolge kein genehmigungsfähiges Vorranggebiet. Darüber setzt sich die Regionalversammlung Mittelhessen im Dezember 2012 substanzlos hinweg. Das für die im Regierungsbezirk Gießen erfasste Planungsregion zuständige politische Gremium sieht allein Planungsziele und Investitionen gefährdet: Es handelt voluntaristisch. Eine Petitesse am Rande ist es da, dass die Stadtwerke Marburg eine Eigengesellschaft der Stadt Marburg bilden und Marburgs Oberbürgermeister Egon Vaupel für die Stadt Marburg Mitglied in der Regionalversammlung (pdf) ist.
Doch auch das Regierungspräsidium (RP) Gießen verstößt mit der Ausweisung des Wollenbergs – selbst in der noch vorläufigen Entwurfsfassung von Dezember 2012, die wenig später zur Grundlage des von den Stadtwerken Marburg beantragten Genehmigungsverfahrens wird – gegen die einschlägigen Vorgaben des Europäischen Gerichtshofs (EuGH). Der EuGH hatte den zuständigen Behörden explizit vorgegeben, Plänen oder Projekten in FFH-Gebieten die Genehmigung zu „versagen, wenn Unsicherheit darüber besteht, dass keine nachteiligen Auswirkungen auf das Gebiet als solches auftreten.“
Das RP Gießen aber ermöglicht ein Planungsvorhaben, obwohl es zugleich feststellt, dass im Falle eines WKA-Standorts Wollenberg „die Verträglichkeit mit den Erhaltungszielen des FFH-Gebiets für Fledermäuse sehr ungewiss“ ist. Das denkbar interessengeleitete Vorgehen der Genehmigungsbehörde schließlich wiederholt sich erneut, nachdem die Bestimmungen des Leitfadens aus dem Hessischen Umweltministerium zum Schutz der Mopsfledermaus über eine von Bürgerinnen und Bürgern aus Lahntal und Wetter erhobene Beschwerde bei der Europäischen Kommission seit Ende des Jahres 2013 in das Genehmigungsverfahren vor Ort zurückkehren.
Die Behörde teilt im Februar 2014 den Stadtwerken Marburg zwar mit, dass die eingereichten Unterlagen nicht geeignet sind, die Genehmigungsfähigkeit von WKA am Wollenberg abschließend zu beurteilen, und dass auch nach weiteren, umfassenden Nachuntersuchungen die Genehmigungsfähigkeit dieser Standorte sehr ungewiss sei. Doch ist die negative Stellungnahme – von der Möglichkeit zu einer Versagung ganz zu schweigen – nicht einmal mit der Auflage zur Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung an den Vorhabenbetreiber verbunden.
Das Gesetz über die Umweltverträglichkeitsprüfung (§ 5 Abs. 1 UVPG) zumindest hätte dazu die Bedingungen geboten. Demnach kann die Genehmigungsbehörde eine Umweltverträglichkeitsprüfung auch nach Beginn eines Verfahrens anordnen, sofern sie es aufgrund des entsprechenden Planungsstands und auf Grundlage der vorliegenden Angaben zum Vorhaben für erforderlich hält. Im Unterschied zu dem von den Stadtwerken Marburg eingeschlagenen Weg wäre dann zumindest die Beteiligung der Öffentlichkeit nicht länger auszuschließen möglich gewesen.
Stattdessen wird der Vorhabenbetreiber lediglich mit Nachuntersuchungen beauftragt, deren Gefälligkeitscharakter ungewiss ist. Demnach ist auch für die nahe Zukunft nicht auszuschließen, dass das Genehmigungsverfahren im Falle des „Windparks Wollenberg“ nicht ergebnisoffen, sondern via politische Einflussnahmen zielführend geprüft wird. Solche Einflussnahmen jedoch sind primär nicht der administrativen Behördenebene zuzuschreiben. Vielmehr werden diese von außen herangetragen und finden – mal mehr, mal minder – Eingang und Verstärkung über die politische Leitungsebene. Die Chronologie weist zugleich auf die rechtlichen Schranken eines solchen Handelns hin.
Chronologie:
Windpark Wollenberg – Was bisher geschah! (11 S., 15.01.2015, pdf)
Bild:
Absperrung im Wollenberg. Quelle: bi-wollenberg.org, CC BY-SA 3.0