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Befeuerung über dem Wollenberg

Befeuerung über dem Wollenberg

Tagsüber blitzt es weiß, nachts blinkt es aus Höhenlagen von 550 bis 620 m ü. NN und damit unübersehbar rot von sechs Türmen im Industrieausmaß. Wer heute nicht aufpasst, wird morgen um den Schlaf gebracht – eingeschaltet mit einem Windpark im Wollenberg wird zugleich eine unaufhörliche Disco-Befeuerung. Was ist gemeint?

Folgendes: Generell müssen Windkraftanlagen (WKA) ab einer Höhe von 100 m zur Sicherheit des Flugverkehrs befeuert werden. Dabei wird zwischen Nachtkennzeichnung und Tagkennzeichnung unterschieden. Die Tageskennzeichnung erfolgt mit weißem Blitzlicht (Xenonlicht mit einer Lichtstärke von 20.000 cd) sowie farbigen Markierungen der Rotorblätter. Die Nachtkennzeichnung besteht aus rotem Blinklicht (Lichtstärke 100 cd) auf der Gondel in 141 m Höhe und zwei Befeuerungsebenen am Turm in ca. 45 m und 90 m Höhe.

Die nächtlichen Gefahrenfeuer auf der Gondel sind so zu installieren, dass immer mindestens ein Feuer aus jeder Richtung sichtbar ist. In der Regel bedeutet das pro WKA zwei mal zwei Feuer auf dem Maschinenhausdach, die gleichzeitig (synchron blinkend) betrieben werden. Die Taktfolge der Blinksequenz beträgt gewöhnlich: 1 s hell – 0,5 s dunkel – 1 s hell – 1,5 s dunkel.

Laut einer Untersuchung im Auftrag des Bundesverbandes WindEnergie e.V. fühlen sich Anwohner sowohl von der nächtlichen roten Befeuerung als auch von den weißen Blitzen der Tagesbefeuerung belästigt. Empirische Analysen zu den Stresswirkungen von WKA-Befeuerungen auf den Menschen allerdings liegen nicht vor. Für nachts ziehende Vögel hingegen erhöht sich der Untersuchung zufolge das Kollisionsrisiko stark. Sie können bei schlechten Wetterbedingungen und geringen Sichtweiten von den Lichtern angelockt werden und im beleuchteten Bereich umherkreisen. Auch für jagende Fledermäuse kann sich das Mortalitätsrisiko erhöhen. Sie jagen bevorzugt Insekten, die sich an künstlichen Lichtquellen ansammeln.

Die von den Stadtwerken Marburg in Auftrag gegebenen Gutachten schweigen zu den naturschutzrechtlichen Auswirkungen von WKA-Lichtimmissionen auf geschützte Arten. Mögliche Störwirkungen auf unter besonderem Schutz stehende Vögel, Fledermäuse und die im Wollenberg nachgewiesene – störungsarme Habitate bevorzugende – Wildkatze werden erst gar nicht thematisiert. Dafür wird in Bezug auf den Menschen eine geradezu abenteuerliche Rechnung aufgestellt.

In einem der Genehmigungsbehörde vorgelegten Landschaftspflegerischen Begleitplan (Stand: 18. Juni 2013) heißt es: „Trotz deutlich niedrigerer Intensität (100 cd) wirkt sich die Nachtkennzeichnung auf den Betrachter wegen der fehlenden „Umgebungswirkung“ erfahrungsgemäß mit ungleich höherer Dominanz aus als die Tageskennzeichnung. Dennoch kann die Nachtkennzeichnung bei der hier vorzunehmenden Bewertung der Eingriffswirkungen auf das Landschaftsempfinden vernachlässigt werden, weil ihrer Wirkung die weitgehende (Dämmerung) bis vollständige Nichtsichtbarkeit des Baukörpers entgegensteht. Oder mit anderen Worten: Die Eingriffswirkung der nächtliche Befeuerung entfaltet sich erst, wenn die visuelle Eingriffswirkung von Mast und Rotoren aufgrund der Dunkelheit gegen Null geht.“

Zu Deutsch: In der Nacht ist es dunkler als draußen – oder: Eine Beeinträchtigung minus eine andere Beeinträchtigung hebt die Beeinträchtigung auf, schließlich ist die Sichtbarkeit der Anlagen in ihrer Gesamtheit nachts nicht gegeben.

Somit bleibt festzuhalten: Für Durchreisende und nächtliche Passanten dürfte die künftige „Wollenberg-Disco“ eine imposante Erscheinung darstellen, für Freizeit und Schlaf suchende Anwohner im unmittelbaren und weiter gelegenen Umfeld des Windparks nicht. Auch die Störwirkungen von WKA-Befeuerungen auf die besonders geschützten Arten im Wollenberg wurden nicht untersucht. Tier, Mensch und Natur sind in dem geplanten Projekt lediglich eine zu vernachlässigende Restgröße.