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Netzausbau gefährdet FFH-Gebiet

Netzausbau gefährdet FFH-Gebiet

Auf Antrag des Übertragungsnetzbetreibers Amprion hat die Bundesnetzagentur (BNetzA) jüngst einen sogenannten Präferenzraum zum Bau einer Stromtrasse für Hochspannungs-Gleichstrom veröffentlicht. Auf dieser Rhein-Main-Link genannten Verbindung soll ab 2033 Offshore-Windstrom aus dem Nordseeraum in das Rhein-Main-Gebiet und nach Südhessen transportiert werden. Der Präferenzraum bildet einen 5–10 km breiten Korridor zwischen dem Anfangs- und Endpunkt des Vorhabens. Innerhalb dieses Gebietsstreifens wird im Laufe eines folgenden Planfeststellungsverfahrens der genaue Verlauf der Trasse bestimmt.

Bislang lagen die Kommunen Wetter (Hessen) und Lahntal abseits von im Rahmen der Energiewende bekannt gewordenen Planungen zu Trassenführungen von deutschlandweit zu errichtenden Stromnetzen in Nord-Süd-Richtung. Nun rücken sie infolge von Neujustierungen ins Zentrum. Rhein-Main-Link und der dazu am 16. November 2023 veröffentlichte Präferenzraum sind das Resultat einer Bündelung von vier Gleichstromverbindungen mit jeweils 2 GW-Übertragungsleistung pro Vorhaben. Involviert sind neben Amprion auch die Übertragungsnetzbetreiber TenneT, 50Hertz und TransnetBW.

Nach den Vorstellungen von Amprion soll für Rhein-Main-Link der Beschluss auf ein Planfeststellungsverfahren unter Nutzung der EU-Notfallverordnung bereits im Juni 2024 eingeleitet werden. Letztere, zum beschleunigten Ausbau von erneuerbaren Energien und entsprechender Stromnetze von der Ampel-Regierung im März 2023 in deutsches Recht umgesetzt, ermöglicht bei Antragstellung vor dem 30. Juni 2024 weitreichende natur- und artenschutzrechtliche Ausnahmen von den Schutzbestimmungen unter anderem der FFH-Richtlinie.

Vor Ort soll die Trasse für Rhein-Main-Link (der genaue Korridorverlauf kann über eine von der BNetzA bereitgestellte, skalierbare Konsultationskarte abgerufen werden) in Erdverkabelung erfolgen. Wie die Presse (Frankfurter Rundschau, 05.12.2023) berichtet, ist dazu in der Bauphase ein 75 m breiter Arbeitsstreifen erforderlich, für den gegebenenfalls Bäume gerodet werden müssen. Die Verlegung der Kabel soll sodann in vier parallel auszuhebenden Gräben von jeweils etwa 2 m Tiefe und 5 m Breite erfolgen. Nach Fertigstellung der Erdkabelleitung muss ein 40 m breiter Schutzstreifen frei von Bebauung und Bäumen gehalten bleiben.

Obgleich die BNetzA konstatiert (Umweltbericht Teil I-III, S. 143, Umweltbericht Teil IV – Steckbriefe, S. 36), zur Ermittlung des Präferenzraumes seien FFH-Gebiete als ökologisch besonders empfindliche Areale berücksichtigt und insbesondere in Hinsicht auf das Vorliegen einer – zwangsläufig zu querenden – Riegelbildung konfliktminimierend geprüft worden, gilt das für das FFH-Gebiet „Lahnhänge zwischen Biedenkopf und Marburg“ (5017-305) offenbar nicht. Faktisch liegt im Bereich des Wollenbergs ein durchgehend geschützter Bereich (Riegel) vor. Ebenso ist unersichtlich, warum der Korridor in Höhe der Stadt Wetter im Rahmen der Ermittlung des Präferenzraumes auf eine Breite von 8,5 km verengt wurde, anstatt etwa bis an den Westrand des Burgwalds ausgeweitet zu werden.

Tatsächlich bestehen auf genannter Höhe lediglich vier Möglichkeiten der Trassenführung. Von West nach Ost betrachtet sind das: 1) parallel und östlich in unmittelbarer Anbindung zur Streckenführung der L3092 (Warzenbach–Brungershausen), dort wo schon heute eine kleinere Freileitung über ein Wiesenareal geführt wird; 2) Rodung einer Schneise unmittelbar durch den Zentralbereich des Wollenbergs; 3) in enger Anbindung an die Streckenführung der B252 (neu), wobei eine Westvariante im Nah- oder Randbereich zum Wollenberg verliefe, eine Ostvariante die B252 zweimal zu queren hätte; 4) Ostumgehung der Stadt Wetter durch das Waldgebiet Hügelberg. Weitere Möglichkeiten bestehen nicht: Eine Führung der Trasse durch das Wetschafttal ist aufgrund der Wohnbebauung im Bereich der Stadt Wetter nicht möglich, eine solche westlich des Waldareals Hügelberg aufgrund öffentlicher Belange der Stadt (Neuausweisung von Baugebieten) ebenso wenig.

Mithin verliefen die Szenarien 1 und 2 durch das FFH-Gebiet, wobei Szenario 2 großflächige Rodungen erforderte und aufgrund der herausgehobenen Klimaschutzfunktion des Waldes völlig unangemessen wäre. Szenario 4 dürfte vom Netzbetreiber Amprion strikt bekämpft werden, bedeutete es doch erhebliche Mehrkosten. Bereits im Jahr 2016, die seitherige Teuerung nicht einberechnet, wurden nach Angaben der Süddeutschen Zeitung. die Kosten pro 1 km Erdkabel mit 4,2–11,2 Mio. EUR veranschlagt. Eine Ostumgehung Wetters bedeute eine Verlängerung der Trasse um mindestens 6 km bei zusätzlicher doppelter Querung der B252 und der Bahnstrecke Marburg–Frankenberg. Es verbliebe allein Szenario 3, das in einer Westvariante eventuell ohne Baumfällungen über ein kleineres FFH-Wiesenareal geführt werden könnte.

Keine dieser vier Szenarien ist in natur- und artenschutzrechtlicher Sicht wirklich überzeugend. Drei von vier Optionen wirkten in unterschiedlichem Maße auf das FFH-Gebiet ein. Doch nicht nur das: Die Energiewende erfordert in ihrer Umsetzung mehr als in Nord-Süd-Richtung zu verlegende Erdkabel. Auch der Neubau von Stromtrassen in Form von Freileitungen ist in zahlreichen Fällen vorgesehen. Das FFH-Gebiet 5017-305 in der Region Wetter–Lahntal beispielsweise wird auch durch zwei, noch in einer frühen Planungsphase befindliche Untersuchungsräume zum Netzausbau in Form von Freileitungen zerschnitten und in seinem Erhaltungszustand bedroht.

Es handelt sich um die von der BNetzA ausgewiesen Maßnahmen Nr. M784mod (Netzausbau: Arpe – Oberursel/Bad Homburg v.d.H.) und Nr. M253 (Netzverstärkung: Borken – Gießen/Nord). Erstere ist als Neubaumaßnahme, letztere als Neubaumaßnahme oder Erweiterung einer bestehenden Leitung als Zu- oder Umbeseilung vorgesehen. Beides sind Untersuchungsräume von noch grober Korridorbreite (40–50 km). In der obigen Karte sind sie in blauer Randbegrenzung des jeweiligen Korridors von Nordwest nach Südost und von Nordost nach Südwest dargestellt.

Beiden Planvorhaben, sowohl der Präferenzraumermittlung zum Rhein-Main-Link als auch den Vorplanungen zum potentiellen Verlauf der genannten Freileitungen, kann bis zum 29. Januar 2024 widersprochen werden. Gegenüber der BNetzA (Onlineformular: Konsultation zum Entwurf des Umweltberichts) können bis zu diesem Datum Stellungnahmen auch von Vereinen und Privaten im Rahmen eines Beteiligungsprozesses der Öffentlichkeit abgegeben werden,

Karte oben:
FFH-Gebiet 5017-305 und Präferenzkorridor Rhein-Main-Link
(Kartendaten: © OpenStreetMap-Mitwirkende, SRTM | Kartendarstellung: © OpenTopoMap, CC-BY-SA)