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Bechsteinfledermaus: Koloniegrößen im Wollenberg sind rückläufig

Bechsteinfledermaus: Koloniegrößen im Wollenberg sind rückläufig

Die Bestände der nach der Roten Liste stark gefährdeten Bechsteinfledermaus sind zumindest für den östlichsten Teil des FFH-Gebiets „Lahnhänge zwischen Biedenkopf und Marburg“ (5017-305) näher untersucht. Grund dafür ist der Bau der Ortsumgehung Münchhausen – Wetter – Lahntal, in deren Rahmen die Trassenführung der B 252 neu den Wollenberg im Nordosten streift und das FFH-Gebiet an dessen Ostrand tangiert. Bereits im Vorfeld des Neubaus wurden daher spezielle Schutzmaßnahmen und ein begleitendes Monitoring für die durch das Vorhaben betroffene Art erlassen. Aktuelle Untersuchungszahlen zeigen nun, dass die Koloniegrößen der Bechsteinfledermaus vor Ort zurückgegangen sind.

Die entsprechenden Datenanalysen stammen aus den Jahren 2020 und 2022 und wurden im Auftrag von Hessen Mobil durch das Marburger Planungsbüro Simon & Widdig erstellt. Letzteres untersucht schon seit vielen Jahren die Fledermausvorkommen im FFH-Gebiet 5017-305 und verfügt über die entsprechende Expertise. Im Einzelnen erfasst wurden die Aktionsräume und Jagdhabitate der Kolonien Teichtannen West und Teichtannen Ost per Netzfang und Telemetrie, aber auch deren Bestandsgrößen mit Hilfe von Reusenfängen und Ausflugszählungen an Quartierbäumen. Ebenfalls überprüft wurde die Populationsgröße der Kolonie Schwedenschanze. Hervorzuheben an den Ergebnissen sind drei Befunde.

Erstens: Eigentlich eine typische Waldfledermaus liegen die Jagdgebiete der beiden Teichtannenkolonien der Bechsteinfledermaus vorwiegend im Offenland. Der rechnerisch ermittelte Aktionsraum der Kolonie Teichtannen West beispielsweise betrug im Jahr 2022 insgesamt 442 ha, wovon 66 % nicht bewaldete Flächen bildeten. Für die wesentlich kleinere Kolonie Teichtannen Ost lag dieser Wert bei 86 %, wobei der errechnete Aktionsraum lediglich 150 ha umfasste. Obgleich weiträumige Flüge im Offenland für die Art höchst ungewöhnlich sind, ist dieses Raumnutzungsmuster seit 2016 vorherrschend, ebenso wie eine deutliche Ausweitung der Jagdgebiete insgesamt. Parallel einher geht die benannte Entwicklung mit einer abnehmenden Nutzung von hoch- und sehr hochwertigen Beständen in den Waldjagdgebieten.

Zweitens: Die Habitatstruktur um die Quartierzentren der beiden Teichtannenkolonien hat sich im Zeitenverlauf durch die Zunahme von Schlagfluren verändert. Lag der Anteil der Einschlagsflächen im Jahr 2015 noch bei etwa 2 %, so waren es im Jahr 2022 bereits 8 %. Evaluiert in einem Radius von 1.500 m um die Quartierzentren ist demnach eine Vervierfachung des Einschlags von Baumbeständen zu verzeichnen. Allein im Bereich Teichtannen West erfolgten Fällungen von Nadelwaldbestockungen im Umfang von 2,8 ha. Das entsprach 13 % der westlichen unter Prozessschutz gestellten Flächen, einschließlich eines explizit ausgewiesenen und gekennzeichneten Habitatbaumes. Sprich: Waldareale, für die zum langfristigen Erhalt der beiden Teichtannenkolonien im Rahmen des Straßenbauprojekts ein Nutzungsverzicht (von insgesamt etwa 30 ha) ausgesprochen worden war, wurden großflächig der Bekämpfung der Borkenkäferkalamität geopfert.

Tabelle: Bestandsgrößen der Kolonien Teichtannen und Schwedenschanze.

Drittens: Alle drei Wollenbergkolonien der Bechsteinfledermaus sind im Rückgang begriffen. Der Bestand der Kolonie Schwedenschanze verzeichnete im Vergleich zum Jahr 2009 eine Dezimierung um 13–27 %, jener der Kolonie Teichtannen Ost bezogen auf das Jahr 2016, als erstmals eine Auflösung der vormals zusammengehörenden Kolonie in zwei eigenständige Populationen festgestellt wurde, gar eine Verminderung um 50 %. Im Fall der Kolonie Teichtannen West ist der Befund uneinheitlich. Hier reicht das Spektrum von einem Rückgang in der Bestandsgröße um 20 % bis zu einem möglichen Zuwachs um 15 %. Grund dafür ist, dass der zweite Wert in der Bestimmung der Koloniegröße (16–23 geschlechtsreife Weibchen) aus einer rechnerischen Annahme resultiert, somit die Größenangabe des Jahres 2022 eine mit dem Referenzwert aus dem Jahr 2016 nicht vergleichbare Unschärfe erfährt.

Dennoch kann auch der Bericht auf Basis des Kartierungsjahres 2022 nicht umhin, eine negative Bestandsentwicklung zu konstatieren. Zwar sei, so heißt es dort, der Negativtrend für die Kolonie Teichtannen West möglicherweise gestoppt. Doch seien die Koloniegrößen überall im Bereich des Wollenbergs kleiner geworden. Lediglich die Kolonie Teichtannen Ost liege dabei im Beeinträchtigungsbereich der Trassenführung. Unklar sei daher, warum auch die beiden weiteren Kolonien im Bestand zurückgingen. Ein Zusammenhang zum Klimawandel könne nicht ausgeschlossen werden, sei gleichwohl aufgrund fehlender klimatischer Datengrundlagen auch nicht zu belegen. Um den Lebensraum der Bechsteinfledermaus im Hinblick auf die Nahrungs- und Quartiersituation zu verbessern, wird empfohlen, zumindest die Kahlschlagfluren mit heimischen Laubbaumarten (im Optimum: einheimische Eichen), keinesfalls gebietsfremden Arten aufzuforsten.

Tatsächlich ist die Entwicklung alarmierend. Bezogen auf die Gesamtbestände der beiden Teichtannenkolonien und der Kolonie Schwedenschanze mit 52–61 adulten Weibchen im Jahr 2009 und 42–53 adulten Weibchen im Jahr 2022 ergibt sich nach den dargelegten Zahlen eine Abnahme im Bestand um 19,2–13,1 %. Das entspricht einem Mittelwert von 16,2 % und liegt deutlich über dem Schwellenwert, dessen Überschreiten die Grunddatenerhebung für das FFH-Gebiet dazu angemahnt hatte, den Erhaltungszustand der Art intensiv zu überprüfen. Künftig sollte, so ist den beteiligten Behörden zu empfehlen, der Blick über die bekannten Quartierkomplexe hinausreichen und auch Waldareale in Hinsicht auf gravierendere Störungen untersucht werden, die bislang außen vor blieben. Das gilt sowohl für die drei Wollenbergkolonien Teichtannen West, Techtannen Ost und Schwedenschanze als auch für eine zuletzt entdeckte vierte Kolonie: die Kolonie Wichtelhäuser. Sie konnte bislang nicht genauer erfasst werden, soll aber im Jahr 2025 durch das Marburger Planungsbüro erstmals näher untersucht werden.

Hinweis I:
Die im Text genannten Unterlagen umfassen zwei Jahresberichte zum Monitoring der Bechsteinfledermaus 2020 und 2022 inklusive Kartenmaterial. Sie wurden nach dem Hessischen Umweltinformationsgesetz (HUIG) in Verbindung mit dem Hessischen Datenschutz- und Informationsfreiheitsgesetz (HDSIG) beantragt und von Hessen Mobil zugestellt. Dies sind:

  • Simon & Widdig 2020: B 252/62 Ortsumgehung Münchhausen – Wetter – Lahntal. Jahresbericht 2020: Monitoring – Bechsteinfledermaus. Auftraggeber: Hessen Mobil – Straßen- und Verkehrsmanagement.
  • Simon & Widdig 2022: B 252/62 Ortsumgehung Münchhausen – Wetter – Lahntal. Jahresbericht 2022: Monitoring – Bechsteinfledermaus. Auftraggeber: Hessen Mobil – Straßen- und Verkehrsmanagement.

Hinweis II:
In der Grunddatenerhebung für das FFH-Gebiet 5017-305 aus dem Jahr 2009 wird die Größe der (seinerzeit noch unter der generellen Bezeichnung „Wollenberg“ erfassten) Kolonie Schwedenschanze mit 32 adulten Weibchen ausgewiesen, während dieser Referenzwert in den Jahresberichten 2020 und 2022 jeweils mit 30 benannt wird. Der Grund dafür ist unklar. Möglicherweise handelt es sich um einen Üertragungsfehler. Korrigiert auf den Wert 32 addierten sich die Gesamtbestände der Kolonien Teichtannen und Schwedenschanze auf 54–63 Weibchen in 2009 und 42–53 Weibchen in 2022, mithin ergäbe sich eine Abnahme im Bestand um 22,2–15,9 % (Mittelwert: 19,1 %).

Ebenfalls wird in der Grunddatenerhebung der Schwellenwert, unter den die Populationszahl der Bechsteinfledermauskolonien nicht absinken sollte, mit 15 % bezeichnet. Werde dieser Wert überschritten, solle der Erhaltungszustand der Art intensiv überprüft werden, heißt es dort. In den Jahresberichten 2020 und 2022 hingegen ist die Rede von einem Schwellenwert von 20 %, bei dessen Unterschreitung von einer negativen Bestandsentwicklung auszugehen sei. Für die hierin aufscheinende Diskrepanz in der Handhabung von Schwellenwerten findet sich in den genannten Jahresberichten keine Erklärung.

Karte oben:
Aktionsräume der beiden Bechsteinfledermauskolonien Teichtannen im Jahr 2022. Quelle: Simon & Widdig 2022. Darstellung: maßstabsähnlich. (Kartendaten: © OpenStreetMap-Mitwirkende, SRTM | Kartendarstellung: © OpenTopoMapCC-BY-SA)