Abenteuerliche Argumentation: BUND-Kreisverband fordert Windpark
Der Kreisverband Marburg-Biedenkopf des Bundes für Umwelt- und Naturschutz (BUND) hat sich in einem Offenen Brief zur Windkraftnutzung im Landkreis positioniert. Darin verabschiedet sich dieser nicht nur von der Grundposition des BUND auf Bundesebene (pdf), Natura 2000-Flächen als Ausschlussflächen zu behandeln und „die Potentiale der Windenergie insbesondere und prioritär außerhalb von Naturschutzgebieten und Natura 2000-Gebieten zu nutzen.“ Zugleich wird von der Verbandsorganisation auf Kreisebene auch massiv für einen Windpark im Wollenberg lobbyiert.
Die Argumentation ist durchaus abenteuerlich. Beispielsweise wird behauptet, Windkraftanlagen (WKA) im Wald entschärften das Gefährdungsrisiko für den Rotmilan. Dieser siedele in der Waldrandzone und fliege ansonsten über offener Flur, postuliert der Kreisverband in einem ersten Argumentationsschritt. Da sich die Windkraftnutzung im Wald noch in den Anfängen befinde, repräsentiere die einschlägige Schlagopferstatistik für den Rotmilan weithin Todfunde aus dem Offenland, heißt es in einem zweiten Schritt.
Aus Trugschluss eins – Rotmilan fliegt nicht über Wald – wird in Verbindung mit dem nicht nachvollziehbaren Rückschluss aus zwei – Schlagopferstatistik basiert auf WKA im Offenland – abgeleitet, die Greifvogelart sei durch Windkraft über Wald nicht und in der Gegenüberstellung zu Windkraft über Offenland sogar weniger gefährdet. Wer sich des Öfteren im Wollenberg bewegt, wird schnell feststellen, dass der Rotmilan dort regelmäßig auch über Wald fliegt. Doch wird die Argumentation in einem nächsten Schritt noch wilder.
Die für den Rotmilan aufgemachte Rechnung soll für Fledermäuse ausdrücklich nicht gelten. Fledermaus sei nicht gleich Fledermaus, heißt es zunächst. Einige Fledermausarten fliegen höher, andere niedriger – jedenfalls seien die im Wollenberg nach dem FFH-Statut geschützten Arten Mopsfledermaus, Bechsteinfledermaus und Großes Mausohr in der Bewertungsskala für das Schlagopferrisiko der niedrigsten Gefährdungsstufe zugeordnet. Die zentrale Schlagopferstatistik für Deutschland etwa dokumentiere für die Mopsfledermaus nur einen einzigen Todfund. Komme zudem noch ein fledermausfreundlicher Betriebsalgorithmus zum Einsatz, ist nach Auffassung des Kreisverbands ein konsequenter Schutz der Fledermauspopulationen gegeben.
Hieran verwundert nicht nur, dass die Schlagopferstatistik des Offenlandes nun vor dem Hintergrund positiv herangezogen wird, dass Wälder bevorzugte Fledermauslebensräume bilden und viele Fledermausarten ursprünglich Waldtiere sind. Tatsächlich ist an Waldstandorten, und darin im Unterschied zu den Darlegungen des Kreisverbands, aufgrund der erhöhten Fledermausaktivität im Durchschnitt mit deutlich höheren Schlagopferzahlen zu rechnen als im Offenland. Erstaunlich ist darüber hinaus das Unwissen über die Gefährdungslage der Tierart, das die Umwelt- und Naturschutzorganisation an den Tag legt.
Fledermäuse werden nicht nur direkt durch Rotoren getötet, sondern auch durch Barotrauma. Letzteres ist bedingt durch kurzfristige heftige Luftdruckunterschiede im Umfeld der Rotoren, kann zugleich aber auch durch von diesen generierte Wirbelschleppen in weiterer, bis zu mehren Hundert Metern Entfernung zu den WKA-Standorten verursacht sein. Dessen ungeachtet werden durch Gondelmonitoring mit Fledermausdetektoren und durch Schlagopfersuchen, die sich aufgrund der Abtragrate durch Greifvögel, Füchse und andere Tiere, aber auch aufgrund des Umstands, dass Fledermäuse als Schlagopfer weit aus dem Suchraum herausgeschleudert werden, als besonders unzuverlässig erweisen, gegenwärtig Windparks im Wals fast überall genehmigt.
Da sich die Tiere zudem nur langsam vermehren, kann bei seltenen Arten bereits der Verlust eines einzigen Exemplars problematisch sein. Der BUND-Kreisverband verschweigt denn auch, dass das Hessische Umweltministerium bereits im November 2012 in dem „Leitfaden Berücksichtigung der Naturschutzbelange bei der Planung und Genehmigung von Windkraftanlagen (WKA) in Hessen“ (pdf) für die Mopsfledermaus eine Tabuzone mit einem Radius von 5 km um die Wochenstubenkolonien der Art einforderte. Begründet wurde dies mit der ungeklärten Gefährdungslage sowie „des Flugverhaltens im offenen Luftraum bis Baumkronenniveau und darüber“.
Tabuzonen im 5 km-Radius zu den Wochenstubenquartieren und Kolonien der Mopsfledermaus empfiehlt auch die „Staatliche Vogelschutzwarte für Hessen, Rheinland-Pfalz und das Saarland“ in einem Gutachten aus dem September 2012 (pdf). Gründe sind: „Die ökologische Anpassung dieser frost- und winterharten Art bedingt regelmäßige Aktionsphasen und Migrationsbewegungen, die mit den derzeit gängigen Methoden nicht hinreichend genau bestimmbar sind und außerhalb der mittels Höhenmonitoring erfassbaren Abschaltzeiträume liegen.“ Wegen des hohen Gefährdungsgrades, des schlechten Erhaltungszustands und des Schutzstatus dieser schlaggefährdeten Art, heißt es dort weiter, sei das Vorsorgeprinzip zu wahren.
Konsequent ausgeblendet wird von der Kreisorganisation ferner, dass für FFH-Gebiete ein Verschlechterungsverbot besteht. Sollen dennoch Eingriffe im übergeordneten öffentlichen Interesse vorgenommen werden, so ist nach höchstrichterlicher Rechtsprechung das Genehmigungskriterium „eng auszulegen“ und „von der Voraussetzung abhängig, dass das Fehlen von Alternativlösungen nachgewiesen wird“ (EuGH, C-239/04). Zudem stellte der Europäische Gerichtshof (EuGH) fest, dass Alternativlösungen „nicht von vornherein ausgeschlossen werden“ können und nachzuweisen ist, dass „keine Alternativlösungen vorhanden waren“ (ebd.). Solche aber bestehen vor Ort!
Der BUND-Kreisverband hingegen unterscheidet zwischen vermeintlich guten und schlechten Schutzgebieten. Windkraftnutzung in den „klassischen nach deutschem Recht ausgewiesenen Naturschutzgebieten“ lehnt er ab, solche in „nach Europarecht ausgewiesenen Natura 2000-Gebieten“ – dem Terminus technicus für die nach der FFH-Richtlinie ausgewiesenen Schutzgebiete – nicht. Dass der Verband kein oder allenfalls ein instrumentelles Verhältnis zum FFH-Gebiet „Lahnhänge zwischen Biedenkopf und Marburg“ besitzt, dem der Wollenberg zugehört, zeigt sich auch darin, dass er an maßgeblicher Stelle des Offenen Briefs eine fehlerhafte Bezeichnung des Schutzgebiets benutzt.
Aus der Lagebezeichnung „zwischen Biedenkopf und Marburg“ wird symptomatisch die Umkehrung „zwischen Marburg und Biedenkopf“. Von Marburg aber war, wie an dieser Stelle bereits nachgewiesen wurde, das Windparkvorhaben im Wollenberg ausgegangen. Die Stadtverordnetenversammlung Marburg hatte im Februar 2010 beschlossen, die bis dato favorisierten Planungen für einen Windpark auf den Lahnbergen einzustellen. Der Standort sei ökologisch zu sensibel, hieß es unter anderem. Stattdessen wurden die Stadtwerke Marburg beauftragt, Windenergie für die Bürger und Bürgerinnen der Stadt Marburg in erweitertem Umfang an Standorten im Landkreis nutzbar zu machen.
Evident wird dieses Nicht-Verhältnis sodann, wenn auf die mit standortfremder Douglasie aufgeforsteten Windwurfflächen hingewiesen wird, die nach den Planungen der Stadtwerke Marburg partiell als WKA-Standorte dienen sollen. Tatsächlich wurde nach dem Orkan Kyrill im Januar 2007 auch im Wollenberg mit Douglasie wiederaufgeforstet und ist diese Zielbaumart ökologisch weitgehend wertlos. Nicht erwähnt wird aber, dass mit der Pflanzung standortfremder Baumarten eine Verschlechterung des FFH-Status selbst einhergehen kann. Die Einbringung von Douglasie in geschützte Wald-Lebensraumtypen kann, wie auch das Bundesamt für Naturschutz (pdf) feststellt, erhebliche Beeinträchtigungen darstellen, die gegebenenfalls eine Verträglichkeitsprüfung erfordern. Die Bundesbehörde empfiehlt daher, die Baumart in Natura 2000-Gebieten nicht anzubauen.
Der Umweltorganisation Greenpeace war das Anlass, gegen Hessen-Forst zu klagen. Der Landesbetrieb hatte sich geweigert, die Daten der Waldgebiete mit entsprechenden Aufforstungen nach dem Hessischen Umweltinformationsgesetz (HUIG) herauszugeben. Zugleich hat Greenpeace eine Beschwerde bei der EU-Kommission gegen die Bundesrepublik Deutschland eingereicht. In dieser geht es vordergründig um Anpflanzungen von Douglasie im FFH-Gebiet „Hochspessart“, ein Urteil jedoch hätte bundesweit Auswirkungen auf alle FFH-Gebiete. Doch was tut der BUND-Kreisverband? Nichts! Er unterwirft sich der Forstpolitik und gibt ansonsten das Natura 2000-Gebiet zum Abschuss frei.
Insgesamt dokumentiert sich in dem Offenen Brief die Unterordnung der Umweltpolitik unter ein politisches Kalkül oder auch Ideologie. Der Natur- und Artenschutz wird zielstrebig der Energiepolitik geopfert. Das nach Fukushima – verständlicherweise, dennoch übereilt – gesetzte energiepolitische Ziel, bis 2050 die im Landkreis entstehenden Treibhausgase um 95 % zu senken, soll vorrangig durch Windkraft im Wald errungen werden. Ohne jegliche Messungen und Rentabilitätsberechnungen wird proklamiert, die Nutzung der Höhenlagen in den Wäldern würde in der Gesamtheit weniger Anlagen erforderlich machen und damit geringere Eingriffe in die Natur einfordern als durch Windkraft im Offenland.
Wie viele Anlagen in Hessens Wäldern allein nach den Zielen der Landesregierung tatsächlich aufzustellen sind, darüber wurde an dieser Stelle bereits berichtet. Dass auch der Weltklimarat (IPCC) in seinem jüngsten Sachstandsbericht Deutschlands milliardenschwere Ökostromförderung vor dem Hintergrund des Treibhausgas-Emissionshandelssystems als nutzlos kritisiert, kann hier nachgelesen werden. Aber sachliche Gründe werden den BUND-Kreisverband nicht interessieren. Windkraft im Wald ist ihm der neue Götze, dem selbst FFH-Gebiete darzubringen sind.
Disclaimer:
Eine Online-Version des Offenen Briefs liegt bislang nicht vor. Doch findet sich eine textidentische Fassung, für die lediglich einzelne Verbformen geändert wurden, auf den Seiten des lokalen Internetmagazins das Marburger. Diese ist weder als Pressemitteilung noch als PR-Arbeit gekennzeichnet, sondern wird im Stile einer unabhängigen öffentlichen Meinungsäußerung dargeboten. Zugleich insinuiert das Magazin in einer redaktionellen Notiz, Herkunft und Zustandekommen von Berichten auf seiner Webseite stets durch entsprechende Kürzel kenntlich zu machen.
Der BI „Rettet den Wollenberg“ selbst ging der Offene Brief Anfang Juli zu. Mitglieder der Bürgerinitiative hatten im Januar den BUND Hessen dafür kritisiert, dass dieser die Stadtwerke Marburg für ein Förderprogramm zur Energieeinsparung auszeichne, zugleich aber das Windparkengagement der Stadtwerke im FFH-Gebiet „Lahnhänge zwischen Biedenkopf und Marburg“ außer Acht lasse. Der BUND-Landesverband hatte daraufhin geantwortet, dass man auf Landesebene nicht über alle Probleme der hessischen Windparkplanungen informiert sei.
Update:
Hier nun auch eine pdf-Version des mit Absendedatum 3. Juli der BI „Rettet den Wollenberg“ zugegangenen Offenen Briefs des BUND-Kreisverbands MR-BID.
Nach eigenen Angaben hat sich der Landkreis Marburg-Biedenkopf bereits 2007 das Ziel gesetzt, bis zum Jahr 2040 unabhängig von atomaren und fossilen Brennstoffen zu werden. Ein „Masterplan 100 % Klimaschutz“ wurde allerdings erst Ende 2011 vorgelegt. Demnach sollen bis zum Jahr 2050 90–95 % der Treibhausgase und 50 % der Energie eingespart werden.
Bild:
Sägekopf eines im Wollenberg geparkten Harvesters. Quelle: bi-wollenberg.org, CC BY-SA 3.0