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B 252 neu: Die Freiheit des Autoverkehrs

B 252 neu: Die Freiheit des Autoverkehrs

Am 21. Dezember 2019 erfolgt die Verkehrsfreigabe des Bauabschnitts Wetter − Lahntal-Goßfelden der B 252 neu. Die neue Trasse bildet nicht nur einen massiven Eingriff in das Landschaftsbild, verbunden mit einem erheblichen Verlust an landwirtschaftlicher Nutzfläche, sondern zeitigt auch merkliche Folgeprobleme. Beispielsweise steht ohne weitere Maßnahmen des Verkehrsmanagements zu befürchten, dass Goßfelden und Wehrda bis zur Fertigstellung des südlichen Teilabschnitts zur Anbindung an die B 3 Verkehrsfreigabe nach erneuten Verzögerungen voraussichtlich Ende 2024 und ab Göttingen in einem weiteren Planungsprojekt vierspurig erfolgend − von enormem Abkürzungsverkehr in Richtung Marburg erfasst werden.

Auch ist absehbar, dass nach Fertigstellung des nördlichen Teilabschnitts Münchhausen − Wetter (voraussichtliche Freigabe: Frühjahr 2023) der Verkehr auf der Strecke insgesamt zunehmen wird. Bereits während der Planungsphase, seinerzeit war noch eine frühere Fertigstellung anvisiert, wurde eine Zunahme des Verkehrs für 2020 auf der neuen Trasse um kumuliert 7,1 Prozent gegenüber 2005 auf der alten Trasse angenommen. Ausweislich der Verkehrsprognose, hier wiedergegeben nach den Zahlenangaben der FFH-Verträglichkeitsprüfung „Neubau der B 252/62“ des Marburger Gutachterbüros Simon & Widdig (2010), bedeutete das je nach betrachtetem Streckenabschnitt Verkehrsmengen von 14.400−20.300 Fahrzeugen pro Tag mit einem Anteil an Schwerlastverkehr von bis zu 24,8 Prozent.

Ob die Zahlen nicht zu moderat angesetzt sind, muss sich erweisen. Es gilt die Maxime: Neue Straßen erzeugen neuen Verkehr. Bereits jetzt ist ein hohes überregionales Verkehrsaufkommen mit einem hohen Anteil an Schwerlastverkehr kennzeichnend für die B 252. Sie bildet eine geographische Achse zwischen den Großräumen Paderborn−Korbach sowie Marburg−Gießen und wird in Nord-Süd-Verbindung zusätzlich als Ausweich- und Abkürzungsroute parallel zu den hochfrequentierten Autobahnen genutzt. Sind die weiteren Ortsumfahrungen erst fertiggestellt, könnte sich letztgenannter Effekt noch verstärken. In jedem Fall aber rückt ein intensives Mehr an Verkehr akustisch und visuell nahe heran an die im Westen der Kernstadt von Wetter und im Süden der Ortschaft Amönau gelegenen Wohngebiete, bei gleichzeitiger − die optimistischen Angaben der Planer seien nicht verschwiegen − Entlastung der Anlieger der alten Trasse in Form eines prognostizierten Verkehrsrückgangs um 68−94 Prozent

Fauna und Flora entlang der im Endausbau 17,56 km langen Strecke sind ebenfalls von dem massiven Eingriff in die Natur betroffen. Für Rotmilan und Turmfalke kam es, wie bereits berichtet, durch den Straßenneubau zu einem Verlust von Jagdhabitaten im vorgelagerten Offenlandbereich des Wollenbergs im Nordosten. Für andere Wildtierarten sind die konkreten Auswirkungen nur vage vorhersagbar. Insbesondere die Barrierewirkung der Trasse dürfte negative Folgewirkungen entfalten. Im Südabschnitt zumindest wird der Verzicht auf einen Wilddurchlass (Bauwerk 29 südöstlich von Göttingen) aufgrund anstehenden Grundwassers und eines planerisch falsch konzipierten Tunnels im Rahmen der 4. Planänderung die Situation eher verschärfen als verbessern.

Tangiert von dem Bauvorhaben sind ferner die beiden Natura-2000-Gebiete vor Ort. Das FFH-Gebiet „Obere Lahn und Wetschaft mit Nebengewässern“ wird erheblich beeinträchtigt. Die Trasse kreuzt die Gewässer des Gebiets an drei Stellen: die Wollmar nördlich von Münchhausen, den Treisbach im mittleren Abschnitt bei Amönau und die Wetschaft südlich von Göttingen. An allen drei Kreuzungsstellen kommt es durch zusätzlichen Ausstoß von Stickstoffgasen und zusätzliche Sedimentablagerungen zu Schädigungen der prioritären Lebensraumtypen Erlen-Eschen- und Weichholzauenwälder an Fließgewässern (LRT *91E0) und Fließgewässer mit flutender Wasservegetation (LRT 3260) sowie zu Verschlechterungen für die im Wasser lebenden Anhang-II-Arten Groppe und Bachneunauge. Entsprechend hat die Europäische Kommission das Bauprojekt unter Auflage der Umsetzung von Schadensbegrenzungs- und Ausgleichsmaßnahmen genehmigt. Letztere sollen die negativen Auswirkungen durch die Schaffung gleichwertiger Lebensräume auf einer Fläche ausgleichen, die dreimal so groß ist wie die betroffenen Areale.

Das FFH-Gebiet „Lahnhänge zwischen Biedenkopf und Marburg“ hingegen ist von dem Eingriff nicht unmittelbar betroffen, da die Trasse das Gebiet nicht durchschneidet. Dennoch besteht ein europarechtliches Einwirkungsverbot, nach dem Verschlechterungen prioritärer Lebensräume und Arten nicht von außen in ein europäisches Schutzgebiet hineingetragen werden dürfen. Mittelbar betroffen von dem Straßenbauvorhaben sind zwei Kolonien der Anhang-II-Art Bechsteinfledermaus, deren Jagdhabitate teilweise außerhalb des FFH-Gebietes liegen und deren Flugkorridore auf einer Länge von etwa drei Kilometern durch die neue Trasse zerschnitten werden. Dies sind die Kolonie Teichtannen (36 adulte Weibchen), die sich in ein Quartierzentrum Ost und West unterteilt und für die Funktionsbeziehungen zu einem Jagdgebiet an der Wetschaftsaue südlich der Kranzmühle bestehen, und die Kolonie Schwedenschanze (30 adulte Weibchen), für die Funktionsbeziehungen zu Jagdgebieten bei Sarnau und Niederwetter bestehen.

Abb.: Neue Trasse und Funktionsräume der Bechsteinfledermaus
Kartengrundlage:  © OpenStreetMap-Mitwirkende, CC BY-SA 2.0, Daten von OpenStreetMap – veröffentlicht unter ODbL – sowie Simon & Widdig 2010.

Um insbesondere die in unmittelbarer Nähe zur Trasse gelegene Kolonie Teichtannen vor Beeinträchtigugen zu schützen, wurden im Rahmen der FFH-Verträglichkeitsprüfung Maßnahmen des Risikomanagements und des Artenschutzes erlassen. Dazu zählen die Aufgabe der forstlichen Nutzung im Bereich des Quartierzentrums, die Sicherung der Quartierbäume, die Neuanlage von Quartierbäumen durch das Fräsen von Baumhöhlen sowie die Errichtung von Schutzzäunen, Irritationsschutzwänden und Leitpflanzungen. Für beide Kolonien wurden zudem fünf Querungs- bzw. kombinierte Querungs- und Wirtschaftswegebauwerke errichtet, zu denen insgesamt etwa 7 km Leitstrukturen hinführen. Ferner wurde auch ein 10jähriges Monitoring für die Wirksamkeit der Maßnahmen festgeschrieben. Und schließlich wurde die Verkehrsfreigabe des ersten Bauabschnitts ausdrücklich an die Funktionsfähigkeit der Leiteinrichtungen und Querungsbauwerke, ebenfalls zu erbringen durch ein Monitoring während der Vegetationsperiode 2019, gebunden.

Doch bestehen Unwägbarkeiten und Unschärfen sowohl in Form der FFH-Verträglichkeitsprüfung als auch im vorgeschriebenen Monitoring. Beispielsweise basiereren die Aussagen zu Aktionsräumen und Jagdgebieten auf der Telemetrie von lediglich fünf Bechsteinfledermäusen im Jahr 2010. Auch gelangen Kreuzpeilungen nicht in allen Fällen, sodass Aussagen über Flugrouten partiell Annahmen darstellen. Zudem wurde der Verlust von Jagdhabitaten in Form der Rodung von Wald- und Gehölzinseln, im Falle der Kolonie Teichtannen 1,5 ha, nicht in Hinsicht auf die Größe des Waldaktionsraumes (30,6 ha) bezogen, sondern auf die potentiell nutzbaren Jagdgebietsflächen (etwa 6.000 ha) im FFH-Gebiet insgesamt. Schließlich kann ein Monitoring auf Basis detektorakustischer Erfassungen nur dort Aktivitätsnachweise erbringen, wo entsprechende Detektoren aufgestellt werden. Aus wissenschaftlicher Sicht und strenggenommen müssten die Funktionsbezüge und Querungsverläufe über die Trasse durch erneute Telemetrie gewonnen werden.

Gegenwärtig befindet sich nach Auskunft von Hessen Mobil ein entsprechendes Gutachten zum Monitoring noch in redaktioneller Bearbeitung. Doch liegt eine aktuelle Bewertung von Ende Oktober des Jahres vor, die uns im Vorlauf zum noch unfertigen Gutachten zugestellt wurde. In dieser knapp anderthalb Seiten umfassenden „Kurzbewertung der Zwischenergebnisse zu den Untersuchungen des Jahres 2019“ (Gutachterbüro: Simon & Widdig) werden detektorakustische Erfassungen mittels des Rufaufnahmesystems Batcorder aus dem Jahr 2019 solchen aus 2017 gegenübergestellt. Demnach wurden Rufaktivitäten der Bechsteinfledermaus jeweils an vier alten Leitstrukturen gemessen, deren Funktion mit Fertigstellung der Trasse wegfällt, und an fünf zugleich als Querungshilfen neu angelegten Bauwerken (BW), allesamt Brückenkonstruktionen über Wirtschaftswege (BW 17, 18, 19), über die vormalige Landstraße L 3381 alt (BW 21) oder in  Form eines Wildtierdurchlasses (BW 22); mit dem Ergebnis, dass die Aktivitätszahlen an den alten Leitstrukturen um mindestens 50 Prozent, teils um 90 Prozent zurückgingen, während an den neuen Querungshilfen im Wesentlichen der umgekehrte Effekt nachgewiesen wurde.

Absolute Zahlen und die genauen Messpunkte an den alten Leitstrukturen allerdings werden nicht genannt, sodass der Kurzbewertung selbst nicht zu entnehmen ist, warum ein Rückgang um 50 Prozent an mehreren Leitaltstrukturen bereits ein Nachweis für eine, wie es dort heißt, „geringe oder sehr geringe Aktivität“ darstellt. Tatsächlich ginge eine Weiternutzung potenziell kollisionsrelevanter Querungsrouten mit einem erheblichen Tötungsrisiko einher, wäre in Abhängigkeit von der Nutzungsfrequenz und in Relation zur geringen Individuenzahl der Kolonien schnell populationsrelevant, mithin nicht genehmigungsfähig. Möglicherweise klärt sich dieser Widerspruch nach Vorlage des vollständigen Gutachtens. Bis dato bleibt nur der Rückgriff auf den Kurztext: Der anstehenden Inbetriebnahme der Trasse stellt sich das Gutachterbüro nicht entgegen. Vielmehr wird im Fazit eine insgesamt positive Wirkbilanz der Schadensbegrenzungsmaßnahme Querungshilfen und Leitstrukturen gezogen und das Plazet für eine Verkehrsfreigabe der Trasse erteilt.

In der Gesamtheit ist die Freiheit des Autoverkehrs teuer erkauft, für Mensch und Tier – von den enormen Baukosten ganz zu schweigen. Gewissheiten über die Wirksamkeit der Artenschutzmaßnahmen bestehen keine. Ausgemacht scheint lediglich, dass eine neue Straße den Bau weiterer neuer Straßen erfordert. Als es letzlich galt, die Gewerbegebiete der Stadt Wetter an die Neubautrasse anzubinden, machte sich jene stark für den Bau der K 123, ausgerechnet durch das exterritoriale Jagdgebiet der Teichtannenkolonie-Bechsteinfledermaus. Doch auch das wird kaum ausreichen: Schon bestehen erste Überlegungen, den absehbaren und an der Grundschule vorbeiführenden Abkürzungsverkehr über die Amönauer Straße durch die naturschutzsensible Wetschaftsaue zu führen, in Form einer Stichstraße von der K 123 hin zu Wetters Einkaufszentrum. Die optimierte Ostvariante – als alternativ entwickelte Mittellinie durch Weiternutzung der B 252 alt und Ostumfahrung von Göttingen, Niederwetter und Wetter – aber war einst politisch nicht gewollt.

Hinweis:
Die im Text benannten Dokumente zum Straßenneubau wurden zu unterschiedlichen Zeitpunkten nach dem Hessischen Umweltinformationsgesetz (HUIG) beantragt und von Hessen Mobil jeweils umgehend zugestellt. Gleichwohl können die Unterlagen an dieser Stelle aus Gründen des Urheberrechts nicht veröffentlicht werden. Die deutschen Behörden haben allerdings gegenüber der Europäischen Kommission zugesagt, detaillierte Berichte über die Durchführung und Überwachung der Schadensbegrenzungs- und Ausgleichsmaßnahmen der Öffentlichkeit im Internet zugänglich zu machen. Es bleibt zu hoffen, dass dies auch für das Gutachten zum Fledermaus-Monitoring im Rahmen der Verkehrsfreigabe des ersten Bauabschnitts gilt und zugleich zeitnah geschieht.

Bild oben:
Bauwerk 17, bearbeitet von unbekannten Street Artists, im Oktober 2019
Quelle: bi-wollenberg.org, CC BY-SA 3.0