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Durchwachsene Antworten: Nachtrag zu B252 neu und Bechsteinfledermaus

Durchwachsene Antworten: Nachtrag zu B252 neu und Bechsteinfledermaus

Mitte Dezember 2019 berichteten wir unter dem Titel „B 252 neu: Die Freiheit des Autoverkehrs“ von den Ergebnissen des Fledermausmonitorings im Vorfeld der Freigabe des ersten Streckenabschnitts der Ortsumgehung Münchhausen–Wetter–Lahntal. Seinerzeit bildete eine Kurzbewertung, vorab zugesandt von Hessen Mobil, die Basis unserer Berichterstattung. Der Endbericht, so hieß es damals, solle uns zugehen, sobald dieser redaktionell abgeschlossen vorliege. Doch im Sommer 2020 hieß es plötzlich, unser Antrag auf Dokumentenzugang nach dem Hessischen Umweltinformationsgesetz (HUIG) müsse aus Urheberrechtsgründen negativ beschieden werden.

Nach einem erneuten Antrag, nun nach dem Hessischen Datenschutz- und Informationsfreiheitsgesetz (HDSIG) gestellt, waren wir dennoch erfolgreich. Ende 2020 ging uns der von Hessen Mobil beauftragte und mit Datum 30. Juni 2020 versehene „Endbericht Funktionskontrolle der Leiteinrichtungen und Querungsbauwerke 2019 – Monitoring Bechsteinledermaus“ (im Folgenden: Monitoringbericht 2019) zu. Wie kaum anders zu erwarten, belegt der Endbericht, nun untersetzt durch genaue Zahlen, die Befunde des Kurzberichts: Die Leitstrukturen werden angenommen, und das nicht unwesentlich.

Allerdings konnte nur in einem einzigen Fall die Nutzung dieser Strukturen der Bechsteinfledermaus eineindeutig zugeschrieben werden. Dies ist, wie im Bericht auch explizit festgehalten, der zum Einsatz gelangten Erfassungsmethode geschuldet. Mittels detektorakustischen Aufzeichnungen können in der Regel nur Fledermäuse der Gattung Myotis erfasst werden, zu denen neben der Bechsteinfledermaus auch die im Bereich Wollenberg vorkommenden Arten Kleines und Großes Mausohr, Kleine und Große Bartfledermaus, Fransen- und Wasserfledermaus zählen. Für exakte Nachweise hingegen wären, ohne dass die Befunde des Endberichts von uns in Zweifel gezogen werden, Netzfänge und telemetrische Nachweise durch Bestückung der Tiere mit Radiosendern erforderlich.

Auf Basis des Endberichts und weiterer Befunde haben wir uns Ende März 2021 mit vier Fragen an das Hessische Umweltministerium gewandt. Die jetzt eingegangenen Antworten sind durchwachsen. Sie zeigen, dass Transparenz von den beteiligten Behörden auf das Notwendigste beschränkt wird. Beispielsweise legt Hessen Mobil die Vorgabe der Europäischen Kommission, entsprechende arten- und naturschutzfachliche Untersuchungen der Öffentlichkeit zugänglich zu machen, restriktiv aus. Sie sollen nur für das durch den Bau der Ortsumgehung beeinträchtigte FFH-Gebiet „Obere Lahn und Wetschaft mit Nebengewässern“ (DE5118-302) zur Anwendung kommen, nicht aber für das Monitoring der dem nicht-beeinträchtigten FFH-Gebiet „Lahnhänge zwischen Biedenkopf und Marburg“ (DE5017-305) zugehörigen Bechsteinfledermaus.

Ein Lichtblick auf niedrigem Niveau immerhin ist erkennbar. Die Maßnahme des Risikomanagements RM 3 (Fräsen von Baumhöhlen zur Stützung der Habitatstruktur der Kolonie „Teichtannen“) wird zumindest teilweise angenommen. Von insgesamt 70 künstlich angelegten Baumhöhlen konnten innerhalb eines Zeitraums von fünf Jahren in 11 Fällen Hinweise auf partiellen Besatz durch Fledermäuse geführt werden. Allerdings: Auf fünf Jahre berechnet, ist dies gerade einmal ein Erfolgsnachweis in Höhe von 3,14 Prozent.

Einen Totalausfall hingegen bilden die Bemühungen der Institutionen – sowohl der Obersten Naturschutzbehörde im Hessischen Umweltministerium als auch von Hessen Forst – den klimabedingt erforderlichen Waldumbau artenschutzfachlich zu begleiten. Modellprojekte sind nicht angedacht, heißt es lapidar. Das bedeutet, der von Hessen Forst verantwortete Waldumbau erfolgt, zumindest was die Fledermausarten des Anhangs II und IV der FFH-Richtlinie betrifft, im Blindflug. Man fährt allenfalls auf (forstwirtschaftliche) Sicht, ohne wissenschaftlich strukturierte Begleitung im Bereich des Artenschutzes.

Bild: Links: Fledermausdetektor an einer Leiteinrichtung im Juni 2019. Rechts: Markierter Habitatbaum der Kolonie „Teichtannen“ im Februar 2020. Quelle: bi-wollenberg.org, CC BY-SA 3.0

Nachfolgend dokumentieren wir die von uns eingereichten Fragen und die dazu von der Obersten Naturschutzbehörde im Hessischen Umweltministerium eingegangenen Antworten im Volltext:

Frage 1: Mit Stellungnahme der Kommission vom 29.5.2012 (C(2012) 3392 final) erfolgte die europarechtliche Bestätigung zur Errichtung der Ortsumgehung unter drei Bedingungen (S. 5/6) darunter, – dass die Ergebnisse des begleitenden Überwachungsprogramms berücksichtigt werden, um gegebenenfalls notwendige Korrekturen am Projektdesign vorzunehmen oder zusätzliche Ausgleichs- und/oder Schadensbegrenzungsmaßnahmen durchzuführen, – sowie dass detaillierte Berichte über die Durchführung und Überwachung der Schadensbegrenzungs- und Ausgleichsmaßnahmen der Öffentlichkeit per Internet zur Verfügung gestellt werden. Letzteres ist bislang nicht geschehen. Daher die Frage: Wann und wo werden diese Berichte veröffentlicht?

Zu Ihrer Frage 1: In der Stellungnahme der EU-Kommission vom 29.05.2012 (C(2012) 3392 final) werden Schadensbegrenzungs- und Ausgleichsmaßnahmen beschrieben, zu denen von behördlicher Seite Berichte über deren Durchführung und Überwachung, der Öffentlichkeit per Internet zur Verfügung gestellt werden sollen. Es handelt sich hierbei um Maßnahmen, die das FFH-Gebiet 5118-302 „Obere Lahn und Wetschaft mit Nebengewässern betreffen. Sie zielen darauf ab, Beeinträchtigungen der vorkommenden Lebensraumtypen (3260, 91E0*) sowie der Anhang II-Arten (Groppe, Bachneunauge) zu vermeiden oder auszugleichen. Das FFH-Gebiet „Lahnhänge zwischen Biedenkopf und Marburg“ bleibt in der EU-Stellungnahme außen vor, weil die Planung der OU [Ortsumgehung] keine erhebliche Beeinträchtigung dieses Gebietes hervorruft. Die Ausgleichsmaßnahmen (Kohärenzsicherungsmaßnahmen) für die Beeinträchtigung des Lebensraumtyps 91E0* im FFH-Gebiet „Obere Lahn und Wetschaft mit Nebengewässern“ sowie die dazu vorliegenden Berichte über die Durchführung dieser Kohärenzmaßnahmen, sind auf der Homepage von Hessen Mobil unter nachfolgendem Link abrufbar https://mobil.hessen.de/projekte/projekte-nach-regionen/westhessen/b-252b-62-ortsumgehung-m%C3%BCnchhausen-wetter-lahntal. Darüber hinaus wurden keine weiteren Berichte über die sonstigen das o.g. FFH-Gebiet betreffenden Maßnahmen für die Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Die Entscheidung über die Veröffentlichung der Unterlagen trifft die Planfeststellungsbehörde.“

 

Frage 2: Als eine stabilisierende Maßnahme des Risikomanagements wird in der seinerzeit von der Hessischen Straßen- und Verkehrsverwaltung beauftragten FFH-Verträglichkeitsprüfung „Neubau der B252/62: Ortsumgehungen Münchhausen – Wetter – Lahntal“ (Oktober 2010, Unterlage A12.6, S. 75) das Fräsen von 100 Baumhöhlen im Bereich des Quartierzentrums Teichtannen der Bechsteinfledermaus (Maßnahme RM 3) benannt. Dies ist auch erfolgt, doch verliefen entsprechende Besatzkontrollen der Baumhöhlen im ersten Halbjahr 2019 nach unseren Informationen mit negativem Ergebnis. Im Monitoringbericht 2019 wird darauf, wie insgesamt auf die Maßnahme RM 3, mit keinem Wort eingegangen. Daher die Frage: Aus welchen Gründen ist das nicht erfolgt und wie wird dieses Negativergebnis des begleitenden Überwachungsprogramms in der von EU-Kommission geforderten Form gegebenenfalls berücksichtigt?

Zu Ihrer Frage 2: Die Maßnahme RM 3, die das Fräsen von 70 Baumhöhlen innerhalb der Prozessschutzflächen zur Stützung der Bechsteinfledermauskolonie „Teichtannen“ beinhaltet, wurde umgesetzt und bereits über 5 Jahre mit einem Monitoring begleitet. Die gebohrten Löcher wurden darin auf ihren Zustand und Besatz hin kontrolliert. Die Ergebnisse der Kontrollen wurden in sog. Begehungsprotokollen als separate Unterlagen dokumentiert und sind daher nicht Teil der Monitoringberichte über die sonstigen Vermeidungs- und Ausgleichsmaßnahmen.

Das Ergebnis der Begehungsprotokolle kann wie folgt zusammengefasst werden: Die Baumhöhlen wurden im März 2014 gefräst. Im Oktober 2014 wurde bei der ersten Baumhöhlen-Kontrolle ein Exemplar einer Bechsteinfledermaus festgestellt (Buche Nr. 38). Die Kontrolle der Höhlen im September 2015 ergab keinen Besatz. Im Jahr 2016 wurden drei Bechsteinfledermäuse in einem gefrästen Loch einer Buche (Nr. 12) sowie jeweils einzelne Bechsteinfledermäuse in drei weiteren Buchen (Nr. 21, 33, 41) festgestellt. Da das Höhlenloch Nr. 21 in 2018 verwallt war, wurde es im selben Jahr nachgefräst. Dies geschah auch mit anderen verwallten Höhleneingängen. Ein Exemplar des Großen Abendseglers wurde in 2016 in einer gefrästen Höhle einer Kiefer festgestellt. Die Kontrolle im 5. Monitoringjahr 2018 ergab jeweils eine Bechsteinfledermaus in Buche Nr. 41 und Buche Nr. 49. Darüber hinaus konnte im selben Jahr in drei Höhlen (Bäume 44, 57, 75) Fledermauskot festgestellt werden. An einigen Höhlenlöchern wurden Spechtaktivitäten erkannt. Für den Verlust von Baumhöhlen z.B. in Folge von Windbruch, wurden bereits neue Höhlen gefräst.

Die Ergebnisse aus 5 Beobachtungsjahren zeigen, dass das Fräsen der Baumhöhlen langfristig gesehen dazu beitragen kann, die Ausstattung des Waldbestandes mit nutzbaren Baumhöhlen für die Bechsteinfledermaus zu verbessern. Das Ziel, die Anzahl der Quartierbäume zu erhöhen, kann aus der Sicht der Oberen Naturschutzbehörde mit dieser Maßnahme erreicht werden. Es besteht daher diesbezüglich aktuell kein Erfordernis für die Durchführung zusätzlicher Maßnahmen.“

Frage 3: Ausweislich der FFH-Verträglichkeitsprüfung wird für das Quartierzentrum Teichtannen zudem Prozessschutz in Form einer „dauerhaft vollständig(en)“ (ebd., S. 75) Herausnahme der entsprechenden Flächen aus der forstlichen Nutzung als eine weitere Maßnahme des Risikomanagements (Maßnahme RM 1) benannt. Im Jahr 2018 stellten wir explizit dort zahlreiche forstliche Baumentnahmen fest. Hessen Forst teilte uns daraufhin im Oktober 2018 mit, dass für das Areal auf Vertragsbasis mit Hessen Mobil ein Nutzungsverzicht verabredet wurde, der sich jedoch nicht auf sogenannten Kalamitätsanfall beziehe. Unabhängig davon, dass solche Eingriffe aufgrund von – wie von Hessen Forst benannt – akutem Borkenkäferbefall nachvollziehbar sind, können sie in Verbindung mit zusätzlichen Eingriffen, wie sie in 2019 und 2020 durch großflächige Rodungsmaßnahmen ebenfalls aufgrund von Kalamitätsbefall in unmittelbarer Nähe zum Quartierzentrum erfolgten, dysfunktionale Funktionen für den Erhaltungszustand der Anhang-II-Art vor Ort insgesamt entfalten. Daher die Frage: Findet die sich hier aufzeigende klima- und waldbaubedingte Beeinträchtigung der Art in entsprechenden Modellierungen und Modellprojekten zum Waldumbau Berücksichtigung?

Zu Ihrer Frage 3: In der Spezialuntersuchung zur Situation der Bechsteinfledermaus bzw. der Kolonie „Teichtannen“ bei Wetter, die in den Antragsunterlagen für den Bau der OU als Ergänzung zur FFH-VP erstellt wurde (Simon & Widdig, 2010), wird der Zustand des Waldes in seiner Funktion als Habitat für die Bechsteinfledermaus genauer beschrieben. Danach weist das Umfeld des Quartierzentrums „überwiegend eine ungünstige Habitatstruktur mit höherem Nadelwaldanteil, fehlenden LRT und geringem Anteil geeigneter Laubwälder (SIMON & WIDDIG GBR 2009a) auf“. Die Gutachter sahen bereits im Jahr 2010 eine hohe Gefährdung des Nadelwaldes aufgrund von möglichen Schädlingskalamitäten. Damit lagen ausreichende Gründe vor, um zum langfristigen Erhalt der Bechsteinfledermauskolonie „Teichtannen“ (West und Ost), auf Flächen im Umfang von knapp 30 ha Wald ein Nutzungsverzicht festzulegen.

Die angesprochene Entfernung von Bäumen aufgrund des Borkenkäferbefalls ist unverzichtbar. Nach Rücksprache mit dem Forstamt sollen die Kalamitätsflächen mit heimischen standortgerechten Baumarten im Sinne des Gebietsschutzes wiederbestockt werden. Ein Modellprojekt ist hier aktuell nicht angedacht.“

Frage 4: Laut Monitoringbericht 2019 wurden die im Rahmen des Streckenneubaus errichten Leiteinrichtungen und Querungsbauwerke mit „hinreichende(r) Wirksamkeit“ (S. 33) angenommen. Bei genauerem Blick auf die dort tabellarisch wiedergegebenen Erfassungszahlen kann die Aussage allerdings nur als auf die Artengruppe Myotis generell bezogen gelten. Für die Bechsteinfledermaus selbst konnten nur wenige Nachweise geführt werden, was ursächlich der gewählten Erfassungsform und der Bioakustik der Art zuzuschreiben ist. Der Nachweis zur Annahme der Leitstrukturen und Querungsbauwerke sei auch unbenommen. Nur kann daraus umgekehrt nicht auf den Erhaltungszustand der Kolonie Teichtannen rückgeschlossen werden. Daher die Frage: Welche weiteren Untersuchungen zu den Kolonien der Bechsteinfledermaus im Bereich Wolllenberg sind bis wann vorgesehen?

„Zu Ihrer Frage 4: Die oNB [Obere Naturschutzbehörde/RP Gießen] folgt der Auffassung der Gutachter, dass die Leiteinrichtungen und Querungsbauwerke ihre angedachte Funktion für die betroffenen Fledermausarten erfüllen. Auswirkungen des Straßenbaus auf die Bechsteinfledermauskolonien infolge von Zerschneidungswirkungen oder Kollision können aufgrund der festgestellten Funktionsfähigkeit der Querungshilfen nach aktuellem Kenntnisstand ausgeschlossen werden. Zu dieser speziellen Thematik sind daher keine weiteren Untersuchungen erforderlich. Hessen Mobil Straßen- und Verkehrsmanagement hat ein Monitoring vergeben, welches die Populationsentwicklung der Bechsteinfledermauskolonie „Teichtannen“ im Wollenberg untersucht. Hierfür sind in dem Zeitraum von 2016 bis 2029 in insgesamt 6 Jahren entsprechende Untersuchungen vorgesehen.“

Update, 30.06.2021: Eine Leserin weist uns darauf hin, dass wir in Frage 2 von der Vorgabe sprechen, es seien 100 Baumhöhlen zu fräsen, die Oberste Naturschutzbehörde in ihrer Antwort aber lediglich auf 70 real gefräste Baumhöhlen Bezug nimmt. Tatsächlich heißt es auf S. 75 der genannten Unterlage zur Maßnahme RM 3 (Fräsen von Baumhöhlen im Quartierzentrum): „Im Quartierzentrum konnten 8 Quartierbäume ermittelt werden. Im Rahmen der Maßnahme werden in den auch für den Prozessschutz geeigneten Waldflächen zudem alle Höhlenbäume erfasst und markiert (Höhlenbaumschutz). Zusätzlich sollen weitere Höhlungen gefräst werden, so dass insgesamt 100 Baumhöhlen (in 100 Bäumen) im Quartierzentrum vorhanden sind.“ Für die Diskrepanz – fälschlich: 100 zu 70, korrigiert: 92 zu 70 – liegt uns keine Erklärung vor und ist eine solche weder der benannten Unterlage noch der Mitteilung durch das Ministerium zu entnehmen.

Bild oben: Blick auf den Waldbestand mit der Kolonie „Teichtannen“ im Juni 2021. Quelle: bi-wollenberg.org, CC BY-SA 3.0